Gibt es eine Renaissance der Geopolitik? Zusammenfassung

Geopolitik reloaded –

Ein Buch, das sich als Einführung in das Thema lesen lässt. Ein Buch, das die Anfänge der Geopolitik beschreibt, ihre Weiterentwicklung und ihre erneute Popularisierung in den 1990ern.

 

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Die Entwicklung der Geopolitik wird zunächst übersichtlich dargestellt: vor 1933, während Nazidiktatur und Entstehung der BRD.

Die Herausarbeitung der Geopolitik zur Zweckwissenschaft beginnt bereits zu Zeiten des deutschen Kaiserreiches. Geopolitik wurde zur ideologischen Rechtfertigung von Eroberungen gebraucht. Ausgangspunkt dabei: Politik müsse sich nach geographischen Vorgaben richten. Staaten stehen in dieser Denkweise zueinander in einem sozialdarwinistischen Wettkampf ums Überleben. Friedrich Ratzel (1844-1904) etwa, Mitbegründer des Alldeutschen Verbandes, konstruierte Bevölkerungsgruppen und die entsprechenden geographischen Räume gleich mit, um letztlich Gebietsansprüche begründen zu können.

Schon vor dem 1. Weltkrieg wurde Geopolitik eingesetzt, um deutsches Machtstreben zu untermauern Zentrales Argument dabei: die Lage Deutschlands. Sie wurde in der Mitte Europas ausgemacht. Eines der bekanntesten derartigen Mitteleuropa-Konzepte stammt von Friedrich Naumann (1860-1919).

Geopolitische Ideen gehörten auch in der Weimarer Republik zum ideologischen Rüstzeug.

Entsprechende Pläne einer ökonomischen Beherrschung Europas fanden ebenso Anklang bei faschistischen Politikern. Ab 1933 wurde Geopolitik an deutschen Hochschulen zum Prüfungsfach. Sie prägte die Außenpolitik der Diktatur der Nazis mit. Geopolitische Schlagworte wie Mitteleuropa, Großraumwirtschaft und Lebensraumgewinnung gehörten zu den Grundvokabeln der NS-Ideologie.

An unterschiedliche geopolitische Konzepte konnten Wissenschaftler nach dem 2. Weltkrieg wieder anknüpfen. In der Anfangszeit der BRD blieb diese Betätigung jedoch eher marginal und wurde öffentlich kaum wahrgenommen.

 

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Doch schon in den 1970ern wurde versucht, die Geopolitik wieder aufleben und neutral wirken zu lassen. Diese Versuche nahmen ab den 1980ern zu und die Lehre von der durch den Raum bestimmten Politik sollte wieder seriöser erscheinen. Geopolitik spielte dann auch im sogenannten Historikerstreit Mitte der 1980er eine Rolle. Wissenschaftler wie Hans-Peter Schwarz aus Bonn etwa forderten eine erneute Machtpolitik Deutschlands und begründeten dies mit der geographischen Lage.

Nach den Ereignissen von 1989/90 wurden geopolitische Erwägungen und Mittellagen-Konzepte zunehmend öffentlich verkündet. Ansichten, die längst als überholt und unwissenschaftlich gegolten hatten, wurden immer häufiger zitiert. Die Liste derjenigen, die in den 1990ern geopolitische Erklärungsmuster wieder hoffähig machen wollten, enthält unter anderem Namen wie den des bekannten Historikers Arnulf Baring.

Als einen der Gründe für all diese Bemühungen, die Geopolitik wieder aus der Mottenkiste zu holen, sieht der Autor des Buches eine angestrebte Identifizierung mit der deutschen Nation, wie sie nach der sogenannten Wiedervereinigung erneut forciert worden sei. Dabei werde auf die Geopolitik zurückgegriffen, um wieder einmal machtstaatliche Ansprüche erheben zu können.

Nicht nur Konservative verbreiten geopolitische Ideen. Die Debatte bietet auch Anknüpfungspunkte für Rechtsextreme. So werden beispielsweise im Rechtsaußen-Blatt Junge Freiheit Mittellagen-Thesen ausgewalzt. Zwei weitere Beispiele aus den 1990ern nimmt der Autor genauer unter die Lupe: ein Text des konservativen Verfassers Heinz Brill sowie eine Schrift des rechtsextremen Verfassers Felix Buck.

Das darauf folgende Kapitel wendet sich dem erneuten Auftauchen geopolitischer Konzepte in Ansichten zur Außenpolitik der Bundesrepublik zu. Geopolitische Ideen traten hier ebenfalls wieder zunehmend zu Tage: Ein Europa, das von seiner Mitte her geführt wird, wurde wieder zur Möglichkeit. Der unter anderem von Wolfgang Schäuble lancierte Begriff Kerneuropa bekam in den 1990ern Schlagwortcharakter für derartige Vorstellungen.

Dazu gehört die typisch geopolitische Ansicht, von außen werde Druck auf die Nation ausgeübt und die Behauptung, Deutschland habe Europa machtvoll zu einen. So äußerte sich zum Beispiel Alfred Herrhausen.

Ethnopolitisches Vorgehen kommt im Buch ebenso zur Sprache: Hier tun sich besonders Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen oder die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen hervor. Sie nehmen unter anderem geopolitische Raumplanungen vor, die sich auf fremdstaatliche Gebiete beziehen. In den 1990ern wurde die finanzielle Unterstützung derartiger ethnopolitischer Projekte von offizieller Seite her aufgestockt.

Der Autor sieht eine besondere Gefahr in einer Abkehr von Menschenrechten, die für jeden Einzelnen gelten und in einer Hinwendung zu einem Minderheitenrecht, das für ganze Volksgruppen gelten soll. Am Schluss kann er die Frage nach der Renaissance der Geopolitik beantworten: Ja, es gibt sie. Doch dies wirft neue Fragen auf: Fragen danach, welche ideologische Gewichtung sich durchsetzen kann. Fragen danach, wieviel Einfluss die Geopolitik erlangen kann in einer Zeit, in der grüne Außenminister mit Versatzstücken geopolitischer Ideen genauso liebäugeln, wie Vorstandsmitglieder von Mineralölkonzernen.

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