Ein Revival der Geopolitik in der BRD?
In sechs Kapiteln nimmt sich der Autor der Frage an:
Als erster Hinweis wird in der Einleitung gezeigt, wie in verschiedenen Lexikon-Einträgen eine unterschiedliche Distanz zum Thema Geopolitik und der Frage ihrer Seriösität eingenommen wird. Am Schluss der Einleitung wird klar benannt, wie die Geopolitik nach dem Zweiten Weltkrieg international beurteilt wurde: Sie diente dazu, Eroberungen und Angriffe zu rechtfertigen.
Dann widmet sich der Autor der historischen Entwicklung: Geopolitik kam bereits zu Zeiten des deutschen Kaiserreiches auf. Diese Zweckwissenschaft sollte die Politik stützen. Es hieß, Politik sei abhängig von Vorgaben der Geographie. Staaten galten quasi als Lebewesen die miteinander um Lebensraum zu ringen haben.
Solcherlei Auffassungen waren nicht nur im Kaiserreich, sondern auch in der Weimarer Republik gang und gäbe. Auch die aufkeimende NS-Bewegung fand Gefallen an der Geopolitik. Die Nazis bezogen sie in ihre Ideologie mit ein und entwickelten sie weiter. An Universitäten konnte man sich nach 1933 in dieser Pseudowissenschaft prüfen lassen. Die geopolitischen Forderungen nach Raumzuwachs dienten dazu, Eroberungen im Zweiten Weltkrieg genauso zu rechtfertigen, wie dies bereits im Ersten Weltkrieg geschehen war.
Nach 1945 fanden Wissenschaftler unterschiedlich aggressiv formulierte Konzepte deutscher Expansion vor. NS-Wissenschaftler, die mitunter ihre Laufbahn in der BRD fortsetzen konnten, fanden hier Anknüpfungspunkte.
Das zweite Kapitel endet mit der Phase nach 1945 bis zu den Anfängen der BRD. Das dritte Kapitel setzt zu der Zeit an, als Stimmen wieder lauter wurden, die geopolitische Konzepte verbreiteten.
In den 1980er Jahren wurde zum Beispiel von konservativer Seite erneut behauptet, aus der geographischen Lage Deutschlands in Europa erwachse eine machtpolitische Verpflichtung. Der bis dahin eher diskreditierte Ausdruck Geopolitik wurde dabei meist jedoch noch umgangen. Eher gebrauchte man das Schlagwort Mittellage.
Ab 1990, nach dem Ende der DDR, erlangte die Forderung nach neuem Machtstreben Deutschlands neue Popularität. Von Konservativen bis Rechtsextremen werden geopolitische Theorien gewälzt. Ob in Internetforen, in denen sich die äußerst rechte Szene tummelt oder in entsprechenden Zeitungen, Geopolitik ist ein Thema.
So auch immer wieder im Umfeld des Militärs: Hier finden sich Beispiele für konservative bis äußerst rechte Versuche, die Geopolitik voranzutreiben. Das vierte Kapitel behandelt zwei solcher Versuche. Der Autor bespricht hier ein Buch von Heinz Brill, der der Armee nahe steht und die Apartheid in Südafrika befürwortete. Und ein Buch von Felix Buck, der einst im NPD-Vorsitz saß und in einem militärnahen Verlag publizierte.
Bevor er im letzten Kapitel resümiert, geht der Autor in Kapitel fünf den Spuren geopolitischer Konzepte und Theorien in der Außenpolitik der BRD nach:
Als Beispiel wird der Geschichtswissenschaftler und ehemalige Kanzlerberater Hans-Peter Schwarz genannt. Er meine, man sei regelrecht dazu verdammt, nach Großmacht zu streben. Seine Gründe: die Mittellage, Ausdehnung, ökonomische Kraft und Kultur Deutschlands. Der angebliche Einfluss der Geographie auf die Politik wird während der 1990er Jahre immer öfter herangezogen. So machte unter anderem Wolfgang Schäuble den Ausdruck Kerneuropa für derart begründetes deutsches Hegemoniestreben populär. Ebenso wird 1999 in einer regierungsnahen Zeitschrift der zivilisierende Auftrag betont, der sich aufgrund der Lage des deutschen Staates in Europas Mitte ergebe.
Des Weiteren geht der Text auch auf Organisationen ein, die von Regierungen auf Bundes- wie Landesebene (mit-)finanziert werden. Diese werden dazu genutzt, um Einfluss auf Gebiete anderer Staaten zu gewinnen. Ein Beispiel für eine derartige Organisation ist die Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen. Sie wurde zunächst vom Auswärtigen Amt bezahlt. Ihr erster Geschäftsführer hieß Wolfgang Schäuble.
Geopolitik war von Beginn an dazu da, Eroberungsfeldzüge vorzubereiten und zu begründen. Im Resümee gelangt der Autor zu der Antwort: Es gibt tatsächlich eine Renaissance der Geopolitik und entsprechende geschichtsrevisionistische Bemühungen. Längst widerlegte Beiträge einer Irrlehre werden wieder als Bezugspunkte gehandhabt.
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