Gut gegen Nordwind Zusammenfassung

Es ist nur ein winziger Zufall, ein Irrtum, wie er so vielen jeden Tag passiert: Man drückt auf dem PC auf einen falschen Knopf, und die Mail landet nicht etwa beim Aboservice der Hochglanzzeitschrift, sondern bei einem bis dahin recht fremden Herrn. Das passiert auch der Protagonistin Emmi in Daniel Glattauers "Gut gegen Nordwind". Und schon entspinnt sich ein Dialog zwischen Emmi und dem Herrn namens Leo. Keiner von beiden stoppt dieses Hin und Her von E-Mails zu jeder Tages- und Nachtzeit, das Leo zunächst lediglich aus Höflichkeit entstehen lässt. Dumm nur, dass Emmi eigentlich seit etlichen Jahren bestens verheiratet ist, auch Mutter, und an außerehelichen Spielchen überhaupt nicht interessiert. Und Leo hatte ebenfalls nie die Absicht, im Internet eine Unbekannte aufzupicken und ihr einen permanent größer werdenden Teil seiner Zeit zu widmen; er ist viel zu sehr damit befasst, das Ende einer Beziehung zu verdauen.
Andererseits verbindet den Sprachpsychologen, der über E-Mails forscht, und die ebenfalls akdemische Familienfrau eine ganz besondere Sprache, eine Mischung aus Sentimentalität und, ja, auch Sehnsucht, dann wieder spröder Selbstironie. Emmi und Leo sind bestens ausgebildet - und besitzen ein unübertroffenes Talent, sich einerseits zu analysieren und sich andererseits gerne auch heftig leidzutun. Es kann passieren, dass Emmi voller Zorn ihre Anfälle von Eifersucht in die Tasten hackt, sobald Leo auch nur irgendeine Frau zu erwähnen wagt. Und dennoch ist Emmi keineswegs bereit, diesem Leo endlich leibhaftig zu begegnen.
Tatsächlich passiert das in Daniel Glattauers "Gut gegen Nordwind" aber dann doch - allerdings in einem Lokal, in dem sich beide zwar gleichzeitig aufhalten, jedoch unerkannt; Emmi und Leo leben, wie sich schnell herausgestellt hat, ja wenigstens in derselben deutschen Stadt. Das heißt, Emmi und Leo observieren nun, offen oder verdeckt, alle infrage kommenden Personen, schwanken, spekulieren - und verlassen schließlich das Etablissement, ohne ein Wort mit ihrem virtuellen Kommunikationspartner gewechselt zu haben. Logisch, dass beide, kaum daheim angekommen, ihre Geräte hochfahren und ihre Erkenntnisse en détail austauschen. Wobei der immer neugierigere Leser unbedingt wissen will, wie beide über die vermeintliche Zielperson Lobeshymnen ausstoßen oder böse ablästern.
Daniel Glattauer hat seinem Bestseller gleich noch Folgebände hinterhergeschickt. Der Wiener Journalist hat offenbar einen Nerv getroffen. Kaum war sein E-Mail-Roman auf dem Markt, kursierte das Buch auffallend häufig unter Kolleginnen und Freundinnen unterschiedlichster Altersklassen. Die Faszination, sich mit einem Fremden mailend zu befassen, der einem ungewollt immer vertrauter wird, wächst mit jedem Bekenntnis, mit jeder Beichte und mit jedem Kompliment an die Person am anderen Ende der Stadt. Dieser Dialog wird mit jedem Tag, mit jeder Woche immer dichter und vertrauter, sodass sich kein Leser mehr vorstellen kann, dass Emmi und Leo ihr virtuelles Verhältnis je beenden könnten. Dazu waren beide viel zu ehrlich und offen zueinander. Dass da der Alkohol auf beiden Seiten häufig auch eine nicht unwesentliche Rolle spielte, sei nur nebenbei erwähnt - er sorgte dafür, dass zuweilen auch Geheimnisse ins Netz gingen, die dort nach Auffassung ihrer Autoren - später, wenn sie wieder nüchtern waren - absolut gar nichts zu suchen hatten. Gar nichts.

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